Gemeinsames Plädoyer für einen Abschiebungsstopp nach Griechenland


Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische und der Flüchtlingsrat in Niedersachsen plädieren für einen sofortigen Abschiebungsstopp nach Griechenland sowie die sofortige Aussetzung von Dublin-III-Abschiebungen durch den Bund. Diese sind menschenrechtlich unvertretbar und politisch das falsche Signal.
Während sich Bund und Länder nach dem Brand von Moria auf die Aufnahme von 1.553 Schutzberechtigten aus Griechenland einigten, organisieren deutsche Ausländerbehörden und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiter systematisch die Abschiebung von Schutzsuchenden zurück nach Griechenland (sh. beigefügte Fallskizzen): Allein im Zeitraum von Januar bis April 2020 richteten die Behörden 352 Übernahmeersuchen für in Griechenland anerkannte
Geflüchtete an die griechische Regierung1, die längst in Deutschland bei ihren Familien leben. Für weitere 2.753 Geflüchtete richtete das BAMF im ersten Halbjahr 2020 Übernahmeersuchen nach der Dublin III-Verordnung an Griechenland (sh. BT-Drs. 19/22405, Antwort auf Frage 2), weil die Flüchtlinge auf ihrer Flucht nach Deutschland zuerst in Griechenland registriert wurden.


Claire Deery, Vorsitzende Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:
„Bund und Länder versprechen einerseits, als Zeichen europäischer Solidarität Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen, und versuchen andererseits, eine größere Zahl von Menschen wieder nach Griechenland abzuschieben. Dieses Nebeneinander von Abschiebepolitik und kleineren humanitären Aufnahmen ist ein weiteres Zeichen für die Irrwege deutscher Asyl- und Flüchtlingspolitik."


Die Lebenswirklichkeit ist für asylsuchende wie schutzberechtigte Menschen in Griechenland gleichermaßen schlecht. Neben der katastrophalen Versorgung in den griechischen Lagern ist die Perspektive für anerkannte Flüchtlinge ebenso miserabel: Nach einer kurzen Übergangsfrist droht Wohnungslosigkeit, Armut und Verelendung. Vor diesem Hintergrund werden richtigerweise Menschen in Deutschland aufgenommen, gleichzeitig jedoch abgeschoben.


Thomas Uhlen, Landessekretär der Caritas in Niedersachsen:
„Für Geflüchtete im Dublin-Verfahren muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Selbsteintritt erklären und nationale Asylverfahren durchführen. Bei den Personen mit Schutzstatus in Griechenland fordern wir die umgehende Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen durch niedersächsische Behörden, damit die Menschen endlich Sicherheit erhalten!“


Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher vom Diakonischen Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen e.V.:
„Konsequenterweise sollten wir neben der humanitären Geste, Kinder und ihre Familien von der Insel Moria aufzunehmen, unseren Beitrag im Rahmen der europäischen Asylpolitik überdenken. Das Dublin-System steht seit Anbeginn der Regelungen in der Kritik, da es nach dem Ersteinreiseprinzip insbesondere Italien, Griechenland und Malta belastet. Wir plädieren dafür, dass Deutschland die Notlagen anerkennt und die Abschiebungspraxis stoppt.“


Marco Brunotte, Geschäftsführer der AWO Niedersachsen LAG:
„So darf es nicht weitergehen. Es erzeugt unendliches Leid, wenn Menschen nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland abgeschoben werden sollen, obwohl sie hier längst integriert sind und ihre Kinder erfolgreich die Schule besuchen. Deutschland muss solidarisch sein, Griechenland unterstützen und damit ein starkes Signal für eine gemeinsame europäische Asylund Flüchtlingspolitik senden. Das ist ein bedeutsamer Schritt zu einer menschlicheren Flüchtlingspolitik.“


Birgit Eckhardt, Vorsitzende Paritätischer Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V.:
"Viele lernen Deutsch, haben hier Zuflucht gefunden, möchten eine Bildungsperspektive entwickeln, Ausbildung oder Studium anfangen und der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben - trotzdem müssen viele Menschen, die den Weg aus Griechenland nach Deutschland gefunden haben, mit ihrer Abschiebung rechnen und leben in ständiger Sorge davor, umso mehr, weil die Situation für Geflüchtete in Griechenland zur Zeit katastrophal ist.
Mit den grundsätzlichen humanitären Werten des Paritätischen ist das nicht vereinbar, Abschiebungen nach Griechenland gehören ausgesetzt!"

 

Hintergrund:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ignoriert die Notlage für Schutzsuchende sowie in Griechenland bereits anerkannte Menschen und lehnt die Durchführung von Asylverfahren in Deutschland in der Regel systematisch ab. Zwar gab es im ersten Halbjahr 2020 “nur” 34 Abschiebungen aus Deutschland nach Griechenland (davon mind. eine Abschiebung aus Niedersachsen, sh. LT-Drs. 18/7576, Antwort auf Frage 4). Mehrere tausend Geflüchtete müssen aber bundesweit - auch in Niedersachsen - ohne einen Aufenthaltsstatus leben. Sie leben in steter Sorge, abgeschoben und aus ihrem Leben gerissen zu werden.

Das Plädoyer hier zum Herunterladen.

ProAsyl hat hierzu einen weiterführenden Artikel am 14.09.2020 veröffentlicht.
https://www.proasyl.de/news/griechenland-selbst-anerkannten-fluechtlingen-droht-verelendung/